Kann das Wood Wide Web das Stromnetz der Zukunft inspirieren?

WoodWideWeb - a grid inspiration

Die Natur hat im Laufe von Hunderten von Millionen Jahren atemberaubende Lösungen entwickelt. Sie ist eine fantastische Quelle von Wissen und Erkenntnissen. Wir müssen uns von ihr inspirieren lassen und ihre Lehren in verschiedenen Maßstäben und Bereichen umsetzen. Biomimikry und Bioinspiration können zu überraschenden Lösungen führen. Sie sind manchmal umsetzbar, manchmal utopisch…

Die Natur ist eine immense Quelle von Wissen und Erkenntnissen. Im Zusammenhang mit dem dringenden Klimaschutz haben die von der Natur entwickelten Lösungen zwei bemerkenswerte Eigenschaften. Die Natur macht niemals Abfall! Die Blätter fallen ab und werden von Insekten, Mikroorganismen usw. abgebaut. Diese wiederum entwickeln sich, bevor sie den Bäumen als Nährstoffe dienen, wodurch eine „Kreislaufwirtschaft“ entsteht. Die Natur hat nachhaltige und resiliente Lösungen entwickelt. „Wir führen einen Kampf gegen die Natur. Wenn wir ihn gewinnen, sind wir verloren“, sagt Hubert Reeves. Die Natur ist viel widerstandsfähiger als wir; sie wird zweifellos einen Weg finden, um mit oder ohne uns ein Gleichgewicht herzustellen…

Bio-Inspiration und erneuerbare Energien…

Windkraftanlagen profitieren natürlich von Studien im Zusammenhang mit der Luftfahrt. Im letzten Jahrzehnt wurde ein breites Spektrum an Forschungsarbeiten durchgeführt. Buckelwale haben anmutige, präzise und fließende Bewegungen. Ihre Flossen besitzen gezackte Ränder – sogenannte Tuberkel -, die Turbulenzen minimieren. Angewandt auf die Rotorblätter von Windkraftanlagen verbessern sie den Wirkungsgrad unter bestimmten Bedingungen um bis zu 20 %.

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Ein anderes Beispiel kommt von Eulen. Die Lärmbelästigung durch Windkraftanlagen veranlasste nämlich einen Mathematikprofessor aus Cambridge, sich mit diesen Flügeln zu beschäftigen. Durch seine Untersuchung konnte er feststellen, dass die Flügel – während des Fluges – flaumig werden und dass die Vorder- und Hinterkanten unterschiedliche Eigenschaften haben. Diese Eigenschaften erklären den lautlosen Flug der Eulen. Der erste Prototyp des Materials führte zu einer Lärmreduzierung von 10 dB, ohne die Leistung der Windkraftanlage zu beeinträchtigen. Ein solcher Ansatz könnte den Eindruck erwecken, dass es Lösungen gibt und man nur die Punkte miteinander verbinden muss. Sicherlich, aber es ist nicht immer so einfach. Viele Lösungen scheitern an der Industrialisierung oder der Investitionsrendite.

 

Erneuerbare Energien: Ein Übergang, zwei Herausforderungen

Die Energiewende verläuft in zwei Phasen. Die erste Phase besteht darin, einen Teil des Bedarfs durch die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen – also wetterabhängig – zu decken. In der zweiten Phase geht es darum, die erzeugte Energie dann zu verbrauchen, wenn sie gebraucht wird, oder zu lernen, sie zu speichern. Es gibt drei Ansätze, um die Autarkie zu erhöhen: die Integration physischer Elemente (z. B. Batterien), digitaler Elemente (z. B. Blockchains zur Vereinfachung von Transaktionen bei dezentraler Erzeugung) oder Verhaltensänderungen. Obwohl die Herausforderung für einen Privatmann und ein Stromnetz die gleiche ist, werden die Lösungen mit zunehmender Anzahl der Beteiligten komplexer. Edge Computing ist die Art und Weise, wie Big Data eine seiner Grenzen gelöst hat, nämlich die Überlastung des Netzes. Die Analogie zeigt einen interessanten Weg auf.

Eine vom „Edge Computing“ inspirierte Vision des zukünftigen Stromnetzes…

Die Entwicklung von Big Data wird durch die Grenzen der Datenübertragung vom Sammelpunkt zur Cloud (z. B. zwischen einer Uhr oder einem angeschlossenen Temperatursensor und der Cloud) eingeschränkt. Die Einbeziehung dieser Einschränkung hat dazu geführt, dass ein Teil der Daten lokal am Sammelpunkt verarbeitet und nur die Ergebnisse übertragen werden. Dadurch wird die Belastung des Netzes begrenzt. Es ist der Übergang von einem zentralisierten Netzwerk zu einer Sammlung von teilweise autonomen und miteinander verbundenen Maschen. Die Natur ist aber auch eine Quelle des Wissens auf der Ebene komplexerer oder abstrakterer Systeme. Die Gegenüberstellung der Visionen des zukünftigen Stromnetzes mit den von der Natur gebotenen Beispielen ist inspirierend.

…sondern auch des Wood Wide Web

Studien, die sich mit den Beziehungen zwischen Bäumen beschäftigen, zeigen Strategien von unerwarteter Vielfalt und Komplexität auf. Das von der Wissenschaftlerin Suzanne Simard beschriebene „Wood Wide Web“ zeigt, dass das Mykorrhiza-Netzwerk (die Verbindung von Wurzeln mit Pilzen) die Bäume miteinander verbindet und den gesamten Wald in ein Ökosystem einbindet. Innerhalb dieses wird eine große Vielfalt an Informationen ausgetauscht. Wenn Pflanzenfresser zum Beispiel zu viel Akazienlaub fressen, geben die Akazien Ethylen ab. Diese Verbindung signalisiert den Nachbarbäumen die Gefahr, die ihre Blätter mit Tanninen anreichern, die sie bitter und giftig machen. In anderen Fällen sorgen flüchtige organische Substanzen, die von den Pflanzen freigesetzt werden, dafür, dass sie ihr Mikroklima regulieren können, sodass es feucht und kühl ist.

Der Transport und zum Teil auch die Speicherung werden durch das Mykorrhiza-Netzwerk gewährleistet. Es ermöglicht den Bäumen, nicht nur das für die Photosynthese notwendige CO2 zu übertragen, sondern auch Phosphor, Stickstoff, Wasser oder sogar Zucker zu senden. Einen Wald als komplexes System zu betrachten, das Verbraucher, Produzenten und Produzenten/Verbraucher miteinander verbindet, ist zweifellos eine Vision für das Stromnetz der Zukunft. Insbesondere, wenn dieses Netz die Verbindung zwischen den einzelnen statischen Einheiten durch ein dichtes und komplexes Netz sicherstellt, das den Austausch, die Speicherung, die Kommunikation und die Suche nach Alternativen ermöglicht, wenn ein Knotenpunkt verschwindet. Utopie oder Realität? Sollten wir uns in einer Zeit, in der kreative und inspirierende Lösungen gefragt sind, nicht „mit staunendem Blick der Natur zuwenden“? (Peter Wohlleben, „Das geheime Leben der Bäume“).

LAURENT RAEBER Geschäftsführer Swiss EnergyPark & Société Mont-Soleil